Die Postmoderne

Literarische Epoche oder Ausdrucksform?

Der Philosoph Wolfgang Welsch gehört zu den bekanntesten deutschen Theoretikern der Postmoderne. Er betont, dass die Epochen-Suggestion, die Annahme, dass die Postmoderne die Moderne ablöst, zu den trivialsten Missverständnissen gehört. Seiner Ansicht nach handle es sich bei den postmodernen Methoden um eine Durcharbeitung und Verwandlung der Moderne. Dabei verabschiedet sie einige der modernen Züge und erhält und entwickelt andere weiter. Die Postmoderne sei keine Trans- oder Anti-Moderne, sondern gehöre ihr als eine Transformationsform an.

Abgesehen von der Diskussion um eine mögliche Epochenbestimmung steht bei der Definition einer postmodernen Literatur die Frage im Raum, was ihre zentralen Elemente sind. So ist die typische Figur des postmodernen Romans nach Ortheils Meinung der Detektiv wie bei Ecos „Der Name der Rose“ oder der Lebenskünstler. Ein Blick auf die als postmodern eingeordneten Werke zeigt, dass zu den Lieblingsfiguren der postmodernen Literatur der Rechercheur, der Entdecker oder der Detektiv gehören. Autoren bedienen sich dieser Figuren, um einer Frage auf den Grund zu gehen, ein Geheimnis zu lüften oder Unbekanntes zu erkunden. Für den Literaturkritiker Uwe Wittstock ist diesen Figuren eines gemeinsam: Sie sind Helden der Vergeblichkeit, die nie ihr Ziel erreichen, niemals finden, wonach sie forschen.

Dass die verschiedenen Aspekte des postmodernen Romans keinesfalls unstrittig sind, zeigt sich in einem Kommentar des Autors Klaus Modick zur Intertextualität. Er stellt fest, dass alle Werke, die Zitate, Paraphrasen oder satirische Bezugnahmen auf Traditionen enthalten, vorschnell in der postmodernen Schublade landen.

Die Unterscheidung zwischen Kunst und Unterhaltung in der Belletristik ist ein wesentlicher Streitpunkt bei der Betrachtung postmoderner Literatur. So richten sich die Fragen des Literaturwissenschaftlers Peter Zima vor allem auf die unterschiedlichen Funktionen und gesellschaftlichen Hintergründe von moderner und postmoderner Literatur. Seine These besagt, dass postmoderne Texte nicht mehr primär gesellschaftskritisch sind. Sie seien radikale Experimente oder lesbare und konsumierbare Erzählungen, die die populäre Tradition und experimentelle Formen kombinieren. Zudem seien sie ideologische Reaktionen auf die Indifferenzproblematik oder ästhetisch-politische Revolten. Die Literaturwissenschaftlerin Michaela Kopp-Marx hingegen entwirft ein Schema, was postmoderne Literatur auszeichnet. Potenziell unseriöse Darstellungsformen wie Comic, Science-Fiction, Krimi, Pornografie und Western seien nach Michaela Kopp-Marx in der Postmoderne auf die literarische Tagesordnung gekommen. Mit hochtrabenden ästhetischen Illusionen sei Schluss, ebenso mit dem Anspruch auf Selbstausdruck, der Verkündigung eines dichterischen Auftrags oder Gesten der Erlösung. Sie fasst wesentliche Aspekte der postmodernen Literatur zusammen: Deren Romane seien nicht nur mit Aktion und Erzählmaterial randvoll geladen, es handele sich bei ihnen um hochgradig intertextuelle, selbstreflexive Unternehmungen. Dabei suchen Autoren der Postmoderne den Kontakt mit ihrem Publikum.

Anhand dieser verschiedenen Stimmen lässt sich schon ein Sammelsurium an Aspekten eines postmodernen Romans entwerfen. Zugleich verdeutlicht die Vielfalt an Ansätzen, dass es nicht möglich ist, die literaturwissenschaftliche Diskussion zu vereinheitlichen, um den einen Begriff herauszuarbeiten. Um die Frage nach der Postmoderne als Epoche oder als literarische Ausdrucksform aufzugreifen, kommen daher zwei prominente Vertreter der Diskussion zu Wort.

Leslie Fiedlers postmodernes Literaturverständnis

Leslie Fiedler war Literaturkritiker, Literaturwissenschaftler und Autor. Er starb im Januar 2003. In der deutschen Literaturwissenschaft ist Fiedler vor allem als Verteidiger der postmodernen Literatur bekannt geworden. 1968 hielt er an der Universität Freiburg während eines Symposiums den Vortrag „The Case for Post-Modernism“. Darin definierte er sein Verständnis der Postmoderne. Mit Fiedlers Vortrag erreichte der Begriff, der in den USA seit Ende der 50er Jahre zur Diskussion stand, erstmals eine größere literarische Öffentlichkeit in Deutschland.

Die endgültige englischsprachige Fassung seines Essays publizierte er 1969 im Playboy unter dem Titel „Cross the border – close the gap“. Dass er sein Essay in diesem Medium veröffentlichte, entspricht dem von ihm formulierten Programm der Grenzüberschreitung. Sein Aufsatz stellt fest, dass wir den Todeskampf der literarischen Moderne und die Geburtswehen der Post-Moderne durchleben. Seine Erläuterungen beziehen sich auf eine Literatur beziehungsweise Kunst nach der Moderne. Bezogen auf den damaligen Zustand der amerikanischen Literatur und Literaturkritik erörtert Fiedler, welche Konsequenzen sich aus der neuen postmodernen Zeit für das Schreiben, den Autor und den Kritiker ergeben. Der Roman müsse in Abgrenzung zu dem seriösen Kunstroman der Moderne antikünstlerisch und antiseriös sein. Die Funktion des postmodernen Romans sei die Überbrückung der Kluft zwischen Elite- und Massenkultur. Fiedler formuliert ein Konzept, das sich in Form und Inhalt klar von der Moderne und einem elitären Literaturverständnis abgrenzt.

Fiedlers Konzept bleibt nicht kritiklos. Vor allem sein Einsatz für eine neue Mythologie und seiner Ansicht der Moderne bleiben nicht unwidersprochen. Hans Egon Holthusen kritisiert Fiedlers Begriff des Nachmodernen als fehlerhaft. Er sei in der Modernitätsidee der Zeit von etwa 1910 bis 1950 gefangen. Das bedeutet, dass dessen Entwurf nur auf das englisch-amerikanische Literaturbewusstsein anwendbar sei. Die Thesen Fiedlers sind streitbar. Zugleich steht er für die Literaturkritiker und -Wissenschaftler, die sich in der Mitte der 60er Jahre für eine positive Neubewertung der postmodernen Literatur einsetzten. Trotz der Bedeutung, die Fiedlers Aufsatz als Plädoyer für postmoderne Literatur erlangt hat, revidierte er einige seiner Thesen im Nachhinein als voreilig und falsch. Dass sich die Proklamierung eines „schichtenlosen“ Publikums und einer rückhaltlosen Anerkennung der Pop-Kunst nicht verwirklichte, verdeutlicht die Schwierigkeit der Ausformulierung eines unbestreitbaren Begriffs.

Umberto Ecos postmodernes Literaturverständnis

Umberto Eco ist vor allem als Semiotiker und Romancier bekannt. Er erhielt in Bologna weltweit die erste Lehrstuhl-Professur für Semiotik. Neben diesen Tätigkeiten brillierte er zusätzlich als Kolumnist, Philosoph und Medienwissenschaftler. Umberto Ecos Verständnis der Postmoderne zu untersuchen, ergibt sich zwangsläufig. Denn er war nicht nur ein anerkannter Wissenschaftler, sondern Autor des Buches „Der Name der Rose“. Eco selbst bezeichnete in einem Interview im Jahr 1995 mit Thomas Stauder seine Romane als postmodern. Dabei entwickelten sich seiner Einschätzung nach, die postmodernen Motive und kulminierten im Werk „Die Insel des vorigen Tages“.

Umberto Ecos Roman, „Der Name der Rose“, ist Musterbeispiel eines doppelcodierten Werkes, wie es laut Fiedler für die literarische Postmoderne verbindlich ist. Eco verbindet in ihm in Thema sowie Durchführung, Anspruch und Unterhaltung. Die Literaturwissenschaftlerin Alessia Angiolini hebt hervor, dass die trivialen Gattungen als Gerüst und Deckmantel für tiefere Inhalte in Ecos Romanen dienen. Der Name der Rose vereint mehrere Genres und lässt sich vorrangig als Detektivroman, gleichzeitig aber als historischen Roman lesen. Im Roman sind zudem überlieferte Texte als Zitate integriert oder durch Anspielungen thematisiert.

In seiner Nachschrift zum Roman beschäftigt sich Eco theoretisch mit dem Begriff der Postmoderne. Er bemängelt, dass „postmodern“ mittlerweile ein Passepartoutbegriff ist, der undefiniert und undifferenziert zum Einsatz kommt. Er stellt sich damit in die Reihe derjenigen, die die Unbestimmtheit des Begriffs kritisieren. Zudem bemängelt Eco, dass es eine Tendenz gibt, die zeitliche Phase immer weiter nach hinten zu schieben. Für ihn ist die Einordnung „postmodern“ weniger chronologisch, sondern eine Vorgehensweise. So erklärt Eco, dass sich sagen lässt, dass jede Epoche ihre eigene Postmoderne hat und überlegt, ob die sie eine metahistorische Kategorie ist. Sie als metahistorisch zu verstehen, bedeute, dass diese die stets neue Notwendigkeit ausdrückt, sich von einer Vergangenheit zu distanzieren. Die Postmoderne führe dabei aus dem Verstummen der Avantgarden der Moderne heraus. Sie vermag durch die Maske vergangener Gestalten wieder zu sprechen, und ist so in der Lage, die Vergangenheit zu thematisieren. Dies geschieht durch Ironie. Postmoderne Literatur zeichnet sich in seinem Entwurf durch die Wiederentdeckung der Handlung und des Vergnügens aus. Ihr Modus sei die Ironie, die jedem Authentizitätsanspruch eine Absage erteilt. Neben seinem Konzept eines Postmodernebegriffs in der Nachschrift äußert sich Eco in anderen Veröffentlichungen zu dem, was er als typisch postmodern versteht: Grundlage sei das Zitat. Diese Technik zeigt sich in seinen Werken und verdeutlicht, dass Metanarrativität und Intertextualität zu den wesentlichen Aspekten des postmodernen Romans gehören.

Lässt sich postmoderne Literatur schematisieren?

Zunächst ist zu bemerken, dass Fiedler und Eco trotz unterschiedlicher Beurteilungen hinsichtlich des Epochenbegriffs zu der gleichen Prämisse kommen: Die Postmoderne zeichnet sich dadurch aus, die Kluft zwischen Kunst und Vergnügen zu überwinden. Fiedler begreift sie im Gegensatz zu Eco als neue Zeit, die die Moderne und ihre elitäre Literatur ablöst. Sie ist nicht mehr nur rational und durch ihren Stil und Themen abgrenzend, sondern spielerisch und orientiert an populären Genres. Sein Anliegen ist nicht der Austausch des Elitären gegen das Triviale, er befürwortet ein Nebeneinander von hoher und niederer Kultur. Für Fiedler habe postmoderne Literatur das Ziel, nicht allein belehrend und unterhaltend zu sein. Sie belebt zudem die Fantasie und neue Mythen wieder. Eco hingegen versteht die Postmoderne nicht als Epoche, sondern als metahistorische Kategorie. Sie sei eine wiederkehrende Reaktion auf sich selbst aufgebrauchte Traditionen.

Die Postmoderne als Abgrenzung zur Moderne und als Epoche zu verstehen, grenzt sie zeitlich ein und verhindert ein Neu-Lesen und Bewerten von Literatur. Ein wesentlicher Aspekt postmoderner Literatur ergibt sich aus den Forderungen, dass sie Vergnügen bereiten soll: So geraten populäre Traditionen und vermeintlich unseriöse Darstellungsformen in den Blick der Literaturkritik und erhalten eine literarische Aufwertung.

Aus Ecos exemplarischen Roman „Der Name der Rose“ lassen sich spezifische Formalien ableiten: Figuren wie der Detektiv oder der Lebenskünstler sind typisch für postmoderne Literatur, ebenso wie das Motiv des verschollenen Buches. Die Techniken der Intertextualität und Metanarrativität (Metafiktion) verdeutlichen die ironische Grundhaltung der Tradition gegenüber und das Vergnügen am Schreiben. Postmoderne Kunst lebt davon, bekannte Vorbilder ästhetisch zu verändern, sodass die Veränderungen ein breites Publikum ansprechen und unterschiedliche Lektüren tolerieren. Zum Spielcharakter gehört die ironische Interaktion mit dem Leser.

Als postmoderne Aspekte lassen sich nach diesem Verständnis zusammenfassend aufzählen:

  • Doppel- oder Mehrfachcodierung, wie Massenliteratur und gleichzeitig philosophische oder politische Ausrichtung
  • einfache, aber ästhetische Sprache, die Lesen zum Genuss macht
  • Intertextualität, die Verweise oder Zitate aus anderen Texten umfasst

Literatur zum Nach- und Weiterlesen:

Angiolini, Alessia: Trivial- und Eliteliteratur in den Romanen von Umberto Eco. Bonn: Romanistischer Verlag, 2008. (Abhandlungen zur Sprache und Literatur; 173)
Eco, Umberto: Nachschrift zum ›Namen der Rose‹. Deutsch von Burkhart Kroeber. Deutscher Taschenbuchverlag: München, 1986.
Fiedler, Leslie A.: The Collected Essays of Leslie Fiedler. Volume II. New York: Stein and Day, 1971.
Fiedler, Leslie A.: Überquert die Grenze, schließt den Graben! Über die Postmoderne. In: Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Hrsg. von Wolfgang Welsch. Weinheim 1988.
Holthusen, Hans Egon: Anti-Helden gegen Troja. Leslie A. Fiedlers seltsame Katzensprünge. In: Roman oder Leben. Hrsg. von Uwe Wittstock.
Kopp-Marx, Michaela: Zwischen Petrarca und Madonna.
Modick, Klaus: Steine und Blau. Überlegungen zum Roman der Postmoderne. In: Roman oder Leben. Hrsg. von Uwe Wittstock.
Ortheil, Hanns-Josef: Was ist postmoderne Literatur? In: Roman oder Leben. Hrsg. von Uwe Wittstock.
Stauder, Thomas: Gespräche mit Umberto Eco. Münster: Lit Verlag, 2004. (Wissenschaftliche Paperbacks; Band 17)
Welsch, Wolfgang: Unsere postmoderne Moderne. Vierte Auflage. Akademie-Verlag: Berlin, 1993.
Winchell, Mark Royden: „Too good to be true” The life and work of Leslie Fiedler. Columbia, London: University of Missouri Press, 2002.
Zima, Peter V.: Moderne/Postmoderne.

Comments (2):

  1. Hms

    28. Juli 2023 at 7:29

    Ich möchte folgende Frage in den Raum stellen:: Ist die Zuordnung von Ecos Werk zur Postmoderne nur durch eine formale Betrachtung haltbar? Könnte man es inhaltlich gesehen anders verorten?

    Antworten
    • Sabine Arndt

      28. Juli 2023 at 17:37

      Da Eco seine eigenen Werke als „postmodern“ bezeichnete, ist die formale und inhaltliche Zuordnung zur Postmoderne durchaus haltbar. Zugleich ist das Spannende an Ecos Werken, dass sie sich inhaltlich in verschiedene Genre einordnen lassen.

      Antworten

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